Wie kann sich die niedersächsische Wirtschaft klimaneutral aufstellen? Dieser Frage ist die Niedersachsen Allianz für Nachhaltigkeit (NAN) im Rahmen einer Studie nachgegangen. Am Mittwoch, dem 07. September 2022, wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit im Gästehaus der Landesregierung und via Live-Stream vorgestellt.
Niedersachsen soll bis 2045 klimaneutral werden. Das gibt das Niedersächsische Klimagesetz (NKlimaG) vor. Der niedersächsischen Wirtschaft kommt hierbei eine herausragende Bedeutung zu. Die Betriebe und der gesamte Wirtschaftsstandort müssen sich gleichermaßen ökologisch, ökonomisch und sozial weiterentwickeln, um den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein – und zugleich Wertschöpfung und Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiesituation haben Bedeutung und Geschwindigkeit des Transformationsprozesses der niedersächsischen Wirtschaft noch einmal zugenommen. Mit der Studie leistet die NAN Grundlagenarbeit, um diesen Prozess zielgerichtet zu unterstützen.
Studienansatz und Ziele
Im Rahmen der Studie wurden der Wissensstand und die Handlungsmöglichkeiten für einen beschleunigten Übergang zur Treibhausgasneutralität untersucht. Im Fokus stehen auf der einen Seite zentrale Branchen in Niedersachsen, die von den Auswirkungen der Dekarbonisierung besonders betroffen sind. Für diese Branchen wurden maßgebliche Handlungsoptionen als Grundlage für einen klimaneutralen Wirtschaftsstandort erarbeitet. Auf der anderen Seite wurden Informations- und Wissenslücken identifiziert, deren Schließung ein wichtiger Bestandteil für die künftige Gestaltung der Transformation in Niedersachsen ist. Abschließend formuliert die Studie landespezifische Handlungsempfehlungen als Leitlinien für Politik und Wirtschaft bei der weiteren Ausgestaltung der Transformation. Neben technologischen Optionen werden die Rolle der Beschäftigten und die Stärken des Wirtschaftsstandorts Niedersachsen besonders in den Blick genommen. Die Studie hat einen explorativen Ansatz verfolgt und bietet einen Überblick über die wesentlichen Handlungsfelder für Niedersachsens Wirtschaft. Stakeholder*innen der Wirtschaft und Gewerkschaften haben Ihre Fachexpertise laufend in die Studienerstellung eingebracht, um niedersächsische Besonderheiten zu berücksichtigen.
Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick
Energieregion Niedersachsen
Die Standortvoraussetzungen, um den Umbau der heimischen Wirtschaft erfolgreich und rechtzeitig zu gestalten sind gut. Niedersachsen verfügt über sehr große Potenziale für den Ausbau von Erneuerbarer Energien, den Ausbau der Infrastruktur und zur Festigung der Rolle als Importeur und Exporteur von Energie. Es gilt, diese Voraussetzungen konsequent zu nutzen. Dafür müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren dringend beschleunigt werden. Das Innovationsverhalten der niedersächsischen Wirtschaft ist national allerdings unterdurchschnittlich und konzentriert sich zu großen Teilen auf den Automotivbereich. Um die Wettbewerbsfähig anderer Branchen zu erhalten, auch mit Blick auf Konkurrenzmärkte, muss Forschung und Entwicklung vermehrt in den Fokus rücken.
Zentrale Handlungsfelder
- Wärmewende in der Industrie: Die industrielle Wärmewende wurde bisher zu wenig adressiert, dabei sind gerade für Mittel- und Niedertemperaturprozesse bereits emissionsfreie Alternativen oft schon verfügbar. Branchenspezifische Beratungsangebote des Landes unterstützen die Unternehmen bei der Planung von Investitionen.
- Vermeidung von Prozessemissionen: Technologische Verfahren zur Vermeidung dieser Emissionen sind für viele Anwendungsfälle bereits verfügbar. Dennoch sind alle betroffenen Unternehmen und Branchenverbände gefragt, prozessspezifische Informationen sowie Technologieoptionen zu erarbeiten,
- Energieeffizienz: Ohne Energieeffizienz keine Transformation. Insbesondere der Einsatz von Querschnittstechnologien bietet enormes Potenzial, dass es dringend zu nutzen gilt. Dafür stehen insbesondere beim BAFA und BMWK umfangreiche Förderungen bereit.
- Zirkuläre Wirtschaft und Ressourceneffizienz: Die komplementäre Strategie zur Energieeffizienz ist die Einsparung von Primärrohstoffen durch u.a. verstärkte Kreislaufführung und höheren Recyclateinsatz, die effiziente Verwendung von Material durch verbesserte Anlagentechnik oder Anpassungen im Produktdesign. Niedersachsen verfügt über großes Potenzial, durch den Aufbau einer zirkulären Wirtschaft seine Resilienz zu stärken und Import-Abhängigkeiten zu verringern.
- Wasserstofferzeugung und -infrastruktur: Die Wasserstoffwirtschaft wird elementarer Bestandteil des zukünftigen Energiesystems und Wasserstoff in vielen Prozessen zur stofflichen Dekarbonisierung zum Einsatz kommen. Die Infrastruktur muss dann zwingend bereitstehen und inländische Erzeugungskapazitäten aufgebaut werden. Eine Reihe von Pilotprojekten und Initiativen sind ein positives Signal, aber erst der Anfang.
- Ausbau der Erzeugung und Nutzung Erneuerbarer Energien: Auch für dieses Feld sind die Voraussetzungen gut. Bei der Windkraft ist Niedersachsen bereits national führend, bei Dach- und Freiflächenanlagen, insbesondere im gewerblichen Bereich, muss der Ausbau rasant steigen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, insbesondere auch die restriktive Raumordnung für Freiflächenanlagen.
- Wandel am Arbeitsmarkt: Die geringe Fachkräfteverfügbarkeit ist ein wesentliches Hemmnis der Transformation. Es gilt, die guten Berufsaussichten, gerade auch im Handwerk und der Industrie, in den Vordergrund zu stellen. Der Wandel von der fossilen zur erneuerbaren Wirtschaft, bspw. in der Automobilindustrie, bedarf Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote, um erfahrene und gut ausgebildete Fachkräfte für die neuen Berufsbilder zu gewinnen.
Branchenbetrachtung
Kern der Untersuchung ist die Analyse von sieben zentralen Wirtschaftsbranchen sowie der Energieversorgung und dem Handwerk. Die Ergebnisse finden sich in übersichtlicher Form in den Branchensteckbriefen. Diese können der Studie in Kap. 4 entnommen oder nachfolgend angesehen und heruntergeladen werden:
- » Erläuterung zu den Branchensteckbriefen
- » Branchensteckbrief Automobilindustrie
- » Branchensteckbrief Chemieindustrie
- » Branchensteckbrief Energieversorgung
- » Branchensteckbrief Gummi- und Kunststoffindustrie
- » Branchensteckbrief Handwerk
- » Branchensteckbrief Maschinenbau
- » Branchensteckbrief Metallerzeugung und -bearbeitung
- » Branchensteckbrief Nahrungs- und Futtermittelindustrie
- » Branchensteckbrief Papierindustrie
Stimmungsbild der aktuellen Lage
Der Krieg in der Ukraine hat zu einer Energiekrise geführt und zu großen Unsicherheiten in der Wirtschaft. Mit einer Kurzumfrage in niedersächsischen Unternehmen wurde der Einfluss auf den Umbau der Wirtschaft geprüft: Unternehmen, die Klimaschutzinvestitionen oder klimabedingte Investitionen tätigen, haben diese größtenteils wie geplant umgesetzt. Deutlich zu erkennen ist, dass die Mehrheit entweder die Investitionen wie geplant oder früher als geplant durchgeführt hat. Die größte Herausforderung in den kommenden zwei Jahren sehen Unternehmen zudem im Fachkräftemangel, noch vor Lieferengpässen, Bürokratie und Energieabhängigkeiten. Die Ergebnisse finden sich in Kapitel der Studie.
Fortschrittsmonitoring
Um die Transformation seitens der Landesregierung zielgerichtet steuern zu können, sind Informationen über den Fortschritt und den Grad der Zielerreichung notwendig. Die Studie empfiehlt zu diesem Zweck den Aufbau eines Fortschrittsmonitorings durch die Landesregierung. Die grundlagen werden in Kapitel 7 dargelegt.
Handlungsbedarfe und Folgeschritte
Eine Verbesserung der Daten- und Informationsgrundlage ist notwendig, um ein handlungsorientiertes Monitoring der Transformation und notwendige Investitionen zu ermöglichen. Transformationsanforderungen sollten in der Breite für alle Branchen herausgestellt und spezifische Informationen, insbesondere für Prozessumstellungen verfügbar gemacht werden. Wenngleich die nds. Klimaschutzstrategie einen guten Grundstein legt, müssen die industrielle Wärmewende und der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft adressiert werden. Insgesamt sollte der nutzenoptimale Einsatz verschiedener Technologieoptionen in den Fokus der Unternehmen rücken. Niedersachsen verfügt über ein starkes Handwerk und eine gute Sozialpartnerschaft, gute Voraussetzungen um den Wandel am Arbeitsmarkt zu gestalten und dem Fachhkräftemangel zu begegnen.
Um die Transformation zu beschleunigen und zum Erfolg zu führen, müssen alle Akteurinnen und Akteure, Landesregierung, Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften und Beschäftigte an einem Strang ziehen. Die Chancen für die zukünftige Wertschöpfung und Beschäftigung sind groß, gemeinsam können sie genutzt werden.
» Die Studie zum Download
» Die Zusammenfassung zum Download
» Die Pressemitteilung zur Studienpräsentation vom 07.09.2022 zum Download